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HEINZ MAGAZIN WUPPERTAL 08-2017

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HEINZ Magazin August 2017, Ausgabe für Wuppertal, Solingen, Remscheid

Fat Car und Wandpulli

Fat Car und Wandpulli Erwin Wurm – Doppelausstellung in Duisburg Der österreichische Bildhauer und Konzeptkünstler Wurm, Meister der ironischen Abgründe, setzt alles daran, im Namen der Kunst gewöhnlichen Dingen ihren Sinn zu entziehen und alltägliche Handlungen ad absurdum zu führen. Im Museum Küppermühle mutieren Besucher zur One Minute Sculpture, im Lehmbruck Museum dürfen sie sich unter albernen Verrenkungen gepflegt betrinken. Wände tragen Pullover und Sport-Coupés Fettpolster. Fat Convertible, 2005, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: Studio Erwin Wurm Kastenmann rosa-gelb, 2008-2009, Sammlung Sanziany & Palais Rasumofsky, Wien © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: Studio Erwin Wurm 56 | HEINZ | 08.2017

INSTALLATIONSANSICHT MKM, 2017, © VG BILD-KUNST, BONN 2017; FOTO: MKM / J. STEINICKE I m Schaufenster des Lehmbruck Museums parkt weithin sichtbar eine knallrote Ungeheuerlichkeit: ein Porsche Cabrio, aufgepumpt mit Hochglanz-Fettwülsten. Autofreaks sträuben sich die Nackenhaare beim Anblick des einst schnittigen Kultgefährts, das – vom Bildhauer Wurm in ein adipöses Monstrum verwandelt – unbeweglich im Ausstellungsraum kauert. Als belebte Videoanimation auf einem kleinen Monitor brabbelt es Selbstgefälligkeiten. Die Vermenschlichung ist gewollt. Ganz nach der künstlerischen Strategie Wurms, der spannend findet, „was passiert, wenn man Alltagsgegenständen den Nutzwert entzieht, bekannte Formen neu interpretiert“. Er macht auch vor seinen Mitmenschen nicht halt: Im Eingangsbereich spielen drei Akteuren in Alltagskleidung Living Sculpture, stehen unbewegt auf Podesten und betexten als eine Art Empfangskomitee die Besucher mit sinnfreien Aussagen. Im Ausstellungstrakt werden Besucher von echten Kunstfiguren empfangen: von einer kugelrunden Männerskulptur mit grünem Pulli und genüsslichem Blick, da er offensichtlich die Weltkugel verschluckt hat, von deformierten, kopflosen Figuren mit teils bekleideten, teils verdreht montierten Gliedmaßen, teilweise abrupt abgeschnitten und befremdlich verfremdet. Das ist alles nur auf den ersten Blick komisch. Viele Arbeiten aus dem Wurm-Kosmos sind doppelbödig, irritierend, wie das große Feld kleiner Bronzebrocken auf Sockeln – „Land der Berge“ – mit implantiertem Plastikmüll. Zivilisationskritik? An der Wand dahinter prangen dekorative sauber gerahmte braune Kaffeeflecken. Seitenhiebe auf Österreichs politische Landschaft? Die Ausstellung besetzt die obere Ebene des Neubautraktes – mit Durchblick auf die ständige Ausstellung in den darunterliegenden Ebenen. Wurm verklammerte die Wandzone seiner Präsentation optisch durch drei Bildtapeten, auf denen er selbst in einem Allover-Muster zigfach zu sehen ist, mit gestreckten, minimierten Gliedmaßen, mehrköpfig, heftig grimassierend, mit Zeitungen, die ihm aus den Ohren oder dem Hintern wachsen. Pressekritik? Zwischen Witz und Unbehagen changieren auch die „Drinking Sculptures“ aus ausrangierten Schrankmöbeln. Hinter Schubladen und Klapptüren verbirgt sich Hochprozentiges; ein volljähriger Besucher darf sich, wenn er eine in Bild und Text vorgeschriebene abstruse Körperhaltung dabei einnimmt, gepflegt betrinken. Erwin Wurm verbiegt, erweitert und persifliert mit dieser frechen Werkreihe auch den bekannten Skulpturenbegriff. In seine Werke sind Allerweltsdinge und Betrachter eingebaut und zugleich aus der Form geraten und um Fassung und Stehvermögen gebracht. Im Museum Küppersmühle führt der Künstler die Strategie mit anderen Mitteln fort. Da lauern weitere Maßlosigkeiten wie der wohl größte Pullover der Welt – eine 90 Meter lange lindgrüne Strickware mit beige gestreiftem Bündchen, die als deckenhohe Wandbekleidung mehrere Räume in der Küppersmühle umspannt. Hier und da baumelt ein nutzloses Ärmelchen herab oder öffnet sich ein Rollkragen und gibt den Blick frei auf die weiße Museumswand darunter. Stick- und Strickbilder, Fotografien, Skulpturen und Videos thematisieren den künstlerischen Kampf mit Kleidungsstücken, Körperformen und -haltungen. Großes Vergnügen bereiten Wurms Videowerke aus den 1990er Jahren, z.B. der Film des Mannes, der sich einen Pullover nach dem anderen über den Kopf stülpt, bis zur Unbeweglichkeit. Bekanntestes Markenzeichen von Wurm-Ausstellungen sind seit über 20 Jahren die „One Minute Sculptures“. Eine Serie der ersten, ausgeführt von Freiwilligen in den 1990er Jahren, ist als Fotowand präsent, schlecht analog fotografiert und dabei viel authentischer und anrührender als die aktuelleren großformatigen Hochglanzabzüge. Ein Highlight für Ausstellungsbesucher, nach wie vor! Wer sich auf schriftliche Anweisung des Künstlers Stifte oder Spargel in die Nase steckt, mit Tennisbällen an die Wand lehnt, in ein Möbelstück oder zu zweit in einen XXL-Pullover kriecht, wird selbst für 60 Sekunden zum Kunstwerk und damit Teil der Schau. Der Spaß daran ist jedoch nur die eine Seite. Dem Bildhauer geht es immer auch um Veränderung von Räumen und Perspektiven, von Körpervolumen und Haltungen – und auch vom Verlust derselben, wenn man zu tief in die Drinking Sculptures schaut. Claudia Heinrich ❚ ERWIN WURM MKM MUSEUM KÜPPERSMÜHLE FÜR MODERNE KUNST, Philosophenweg 55, Duisburg; Dauer: bis 3.9., Mi 14-18 Uhr, Do-So 11-18 Uhr, www.museum-kueppersmuehle.de // STIFTUNG WILHELM LEHMBRUCK MUSEUM, Friedrich-Wilhelm-Str. 40, Duisburg; Dauer: bis 29.10., Di-Fr 12-17 Uhr, Sa/So 11- 17 Uhr, www.lehmbruckmuseum.de

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