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HEINZ Magazin Wuppertal 07-2016

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HEINZ Magazin Juli 2016, Ausgabe für Wuppertal, Solingen, Remscheid

Pseudo-Identitäten

Pseudo-Identitäten Generationenkonflikt Papa ist voll peinlich! Wenn es zwischen Vätern und Töchtern hoch hergeht, dann sind meist Schutzgeist und Pubertät im Spiel. Doch wehe, wenn sie mitten im Leben steht und der alte Herr im Rentenalter mit absurden Späßen rebelliert. Maren Ades neuer Film „Toni Erdmann” zeigt eine Beziehungsgroteske der besonderen Art. In einem Rollentausch werden die alten Verhältnisse wieder auf die Füße stellt. U nd verlieren Sie nicht ihren Humor“, rät der mit billiger Perücke und Scherzartikelgebiss lächerlich verkleidete Unternehmensberater dem bettelarmen rumänischen Bauern, dessen Land gerade von der Ölindustrie verseucht wird. Eine Szene wie aus dem absurden Theater, aber Ines möchte am liebsten im Boden versinken. Denn der angebliche Experte ist so echt wie die Accessoires seiner Verkleidung. Es ist ihr Vater, der sie mit seinen Rollenspielen seit Tagen zu einem makabren Mummenschanz zwischen Peinlichkeit und Provokation zwingt. Dabei kann sie die Anhänglichkeit gerade jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Im Gegensatz zu ihrem Vater ist sie nämlich tatsächlich Unternehmensberaterin und soll gerade in Rumänien ein heikles Projekt abschließen. Rund zweitausend Arbeiter dieser Ölfirma sollen gekündigt werden, die Outsourcing-Maßnahme wird sicher auch der Landbevölkerung die wirtschaftliche Perspektive rauben. Da kann sie nur hoffen, die Menschen können ihren Vater und seinen Sinn für Humor verstehen. Toni Erdmann ist eine der Pseudo-Identitäten des Mannes, der wie einst Loriot durch die Szene tölpelt. Der Film erzählt von einer Annäherung zur Unzeit, so unpassend der Zeitpunkt, so unpassend ist die infantile Methode – und eben auch die alberne Maskerade. Da ist der Vater, ein pensionierter Musiklehrer mit Hang zu skurrilen Späßchen, und seine erwachsene Tochter, eine gestandene Geschäftsfrau unter enormem Erfolgsdruck. Nachdem Winfried und Ines seit Jahren getrennte Wege gehen, beschließt er nun, den Kontakt zur Tochter wiederherzustellen. Und dafür knüpft er da an, wo die gewünschte Nähe noch da war: Seine Scherartikel-Mätzchen dürften irgendwann in Ines’ Kindheitstagen noch für Spaß und Gelächter gesorgt haben. So unbeholfen der Versuch 52 | HEINZ | 07.2016

Gefördert durch Finanziert durch den KOMPLIZEN FILM Das Fräulein-Wunder von Cannes Maren Ade hat ihr blaues Wunder an der Cote d’Azur erlebt. Zunächst einmal weil der deutsche Film nach der Generation Wenders, Fassbinder, Herzog und Trotta bei den Filmfestspielen von Cannes kaum noch eine Rolle spielt. Tykwer, Dresen oder Petzold? Dafür interessiert sich das französische A-Festival nicht. Außerdem werden Filmemacherinnen bei den Goldenen Palmen notorisch übergangen. Nur ein Mal konnte eine Frau den Prestige-Preis überhaupt ergattern: Jane Campion für „Das Piano“, und das ist bald 25 Jahre her. Da war die Einladung von „Toni Erdmann“ schon ein Erfolg, der durchs deutsche Feuilleton rauschte. Die 39-jährige Wahlberlinerin machte bisher mit ihrem Beziehungsdrama „Alle anderen“ auf sich aufmerksam, für das sie 2009 den Silbernen Bären in Berlin bekam. Sieben Jahre, die Maren Ade auch als Produzentin für Filme wie „Über- Ich und Du“, „Hedi Schneider steckt fest“ ausfüllte, dauerte es, bis ihr nächstes Projekt „Toni Erdmann“ fertiggestellt war. Die Wettbewerbsakkreditierung war so etwas wie der Wechsel von der Bundesliga in die Champions League. Umso euphorischer reagierte die Filmnation, als „Toni Erdmann“ auch an der Croisette begeistert aufgenommen wurde. Doch dann kam alles anders als erhofft, Sieger wurde ein Mann aus der Wenders- Generation, der vor zehn Jahren schon einmal gewann: Ken Loach. Und Maren Ade ging überraschenderweise leer aus. Apropos: Das mit dem Fräuleinwunder hätte eh nicht so ganz gepasst. Die „Nachwuchshoffnung“ des deutschen Films wird dieses Jahr 40, ist verheiratet und nebenbei Mutter von zwei Kindern. Aber eine große Zukunft steht ihr dennoch bevor. Als Autorin und Regisseurin zählt sie zu den vielversprechenden Talenten des deutschen Films, die nicht nur in Fernseh-Formaten denkt. Bis das in Cannes berücksichtigt wird, dürfte sie dann im Alter der jetzigen Wenders-Generation sein. KOMPLIZEN FILM und so genervt die Tochter ist, so beharrlich bleibt der Vater bei der Methode. Was von außen wie die senile Umkehr der Eltern-Kind-Rolle wirkt, ist in Wirklichkeit jedoch väterliche Fürsorge. Denn der peinliche Störenfried, der sich mal als Psycho-Coach oder gar als deutscher Botschafter ausgibt, spiegelt Ines nur die Lächerlichkeit des Karrieristen-Theaters vor, in dem sie ehrgeizig aber unglücklich die Szenen der verächtlichen Demütigung und der bitteren Unterwürfigkeit mitspielt, ohne die professionelle Fasson zu verlieren. Da verbeißt frau sich den Schmerz in den obligatorischen Pumps, und wenn das Blut spritzt, wird eine frische Bluse von der Assistentin angefordert. Irgendwann hat Ines verstanden, dass Winfried nur ihr Bestes will und sie lässt die Maske buchstäblich fallen. Der kleine Geburtstagsempfang für ihre Mitarbeiter fängt schon mit dem hakeligen Reißverschluss schwierig an und Ines tritt die Flucht nach vorn an: „Nacktparty” lautet die Devise nun und der Managerin neue Kleider heißen „Teambuilding“, da ist selbst der Chef perplex – und Winfrieds neueste Verkleidung hat er noch gar nicht gesehen. Hinter der Absurdität solcher Szenen, und darin liegt Maren Ades besondere Kunst, kann der Film einen tieferen Ernst bis hin zur Tragikomödie entfalten. Die Figur der Ines, grandios uneitel gespielt von Sandra Hüller, ist eine autobiografisch geprägte Kreation, die ihre Generation ehrlicher und schonungsloser porträtiert als alle Lifestyle-Befindlichkeitsgenerationen von X bis (derzeit) Z, die hübsch zeitkoloriert über die Leinwand geflimmert sind. philipp koep ❚ TONI ERDMANN D 2016, 162 Min., Regie u. Buch: Maren Ade, mit: Sandra Hüller, Peter Simonischek, Michael Wittenborn, Thomas Loibl, Trystan Pütter; Start: 14.7. LIEBLINGSFILM

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