BÜHNE TIPP DES MONATS Engel der Vorstädte Brechts Parabel über das Gutmenschentum Schwarz und weiß – gut und böse: Ist es für einen Menschen, der konsequent das Prinzip der Nächstenliebe praktiziert, möglich, in einer kapitalistisch orientierten Gesellschaft zu überleben? Die ersten Vorstellungen von Maik Priebes mit HipHop und Techno durchsetzter Inszenierung gingen mit Bravour über die Bühne des Opernhauses und regten zum Nachdenken über essenzielle Fragen an. 60 | HEINZ | 05.2017
ALLE FOTOS: KLAUS LEFEBVRE B osheit ist bloß eine Art Ungeschicklichkeit”, weiß Lena Vogt als Shen Te. Mit offenem Haar – roter Rock und weiße Bluse – spielt sie den weiblichen Part ihrer Doppelrolle. Doch bei Bedarf kann sie sich blitzschnell verwandeln. In Shui Ta, ihren Vetter. Denn der Auftrag der Götter, gut zu sein, zwingt sie fast zur Selbstaufgabe. Den sie umgebenden Schmarotzern Grenzen zu setzen, gelingt ihr nur im Habitus ihres männlichen Gegenparts. Während sie – gutmütig – ihren Teeladen in den Bankrott führt, avanciert er – kaltblütig – zu einem erfolgreichen Unternehmer. Ein Balanceakt zwischen rücksichtsvoller Gutherzigkeit und standhaftem Durchsetzungsvermögen gelingt nicht in der Konsistenz und Kohärenz einer Identität, sondern zwei Pole bilden sich heraus, die auf der einen Seite zu Selbstverleugnung verkommen und auf der anderen zu rücksichtsloser Ellbogen-Mentalität – überzeugend dargestellt von Lena Vogt. Dazu kreiert Susanne Maier-Staufen ein minimalistisches Bühnenbild, das die aus dem Gleichgewicht geratenen Werte und Haltungen gut zu spiegeln vermag: Die Akteure bewegen sich auf einer schrägen, schwarzen Ebene. Das Dilemma der Figur der Shen Te lässt sich mit Hilfe des Wertequadrats (1989) des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun gut auf den Punkt bringen. Doch als Bertolt Brecht das Stück vor fast achtzig Jahren zu konzipieren begann – zwei Jahre lang arbeitete er daran (1938-1940), bevor es 1943 in Zürich uraufgeführt wurde, hatte er nicht Psychologie, sondern vielmehr Religions- und Kapitalismuskritik im Sinn. So legt er die Figur der Protagonistin vordergründig nicht als tragisch zerrissene Persönlichkeit an, sondern sie dient dazu vorzuführen, dass der Mensch im Kapitalismus aufgespalten ist in eine private, moralische Hälfte einerseits und andererseits eine öffentliche, vom Erwerbszwang bestimmte. Beide lassen sich nicht in Einklang bringen. Die chinesische Provinz Sezuan, in der die Handlung spielt, steht stellvertretend für alle Orte, an denen Menschen andere Menschen ausbeuten. Die Story erzählt vom Bankrott der Menschlichkeit. Drei Götter (Alexander Peiler, Julia Reznik und Judith van der Werff) sind auf der Suche nach dem Guten im Menschen. In der chinesischen Provinz Sezuan treffen sie auf die Prostituierte Shen Te. Als diese ihnen eine Unterkunft verschafft, entlohnen die drei Erleuchteten sie großzügig und geben ihr den Auftrag, von jetzt an nur noch Gutes zu tun. Shen Te beschließt, ein neues Leben zu beginnen und kauft sich von dem Geld, das ihr die Götter gegeben haben, einen Tabakladen. Doch das Geschäft geht nach kurzer Zeit pleite, weil sie sich von allen Seiten ausnutzen lässt. Auch der arbeitslose Pilot Yang Sun (Lukas Mundas), von dem sie ein Kind erwartet, ist nur hinter ihrem Geld her. Am Hochzeitstag verlässt er die Hochschwangere. Sie ist verzweifelt und gibt sich von nun an immer häufiger als ihr geschäftstüchtiger Vetter Shui Ta aus. Im Gegensatz zu ihr versteht dieser es sehr gut, eigennützig seine Interessen zu vertreten und scheffelt Geld. Doch schließlich kann Shen Te ihr Doppelleben nicht mehr verheimlichen. Vor Gericht erklärt sie, es sei unmöglich, immer nur Gutes zu tun, ohne dabei die eigene Existenz zu zerstören. Doch die Götter wollen davon nichts wissen und entschweben. Unter der Regie des gebürtigen Schweriners Maik Priebe erhält das parabelhaft angelegte Stück, das als Musterbeispiel des epischen Lehrtheaters Brechts gilt, Farbe, Action und Speed. Für die passende Soundkulisse sorgt der musikalische Leiter Stefan Leibold. Die Originalmusik komponierte Paul Dessau. Das Stück beginnt mit Pianoklängen, Techno und Electropop, bevor nach zehn Minuten das erste Wort gesprochen wird: „Ich bin Wasserverkäufer in Sezuan!”, so Stefan Walz. Dabei wird die dreistündige Inszenierung nach der Pause deutlich stärker. Besondere Akzente setzen die Tanzszenen der Künstlerinnen und Künstler des Tanzhauses Wuppertal. Silvia Zygouris’ Choreografien für diesen „Bewegungschor” bindet Schauspiel-Chefin und Dramaturgin Susanne Abbrederis höchst versiert in den Spannungsbogen ein. Und während im Zuschauerraum noch der Applaus tost, beginnt bereits der Epilog, der in den Appell ans Publikum mündet, selber nachzudenken, „Auf welche Weis dem guten Menschen man/ Zu einem guten Ende helfen kann./ Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!/ Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!” Dagmar Tigges ❚ DER GUTE MENSCH VON SEZUAN Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Str. 4; Termine: 6.5., 19.30, 7.5., 18 Uhr; Preis: 19,50-24 €, Tickets (0202) 5637666; www.kulturkarte-wuppertal.de 05.2017 | HEINZ | 61
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