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HEINZ MAGAZIN OBERHAUSEN 05-2017

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HEINZ Magazin Mai 2017, Ausgabe für Duisburg, Oberhausen, Mülheim

BÜHNE TIPP DES MONATS

BÜHNE TIPP DES MONATS Who is Einstein? Kollektive Trance Mit „Einstein on the Beach“ realisiert das Theater Dortmund ein außergewöhnliches Musiktheaterprojekt, was mit vier Stunden ununterbrochener Spieldauer eine Grenzerfahrung für Mitwirkende und Zuschauer gleichermaßen birgt. In Zusammenarbeit mit dem ChorWerk Ruhr und in Kooperation von Schauspiel und Oper inszeniert Kay Voges das monumentale Werk von Philip Glass und Robert Wilson als multimediales Bühnenereignis mit meditativer Sogwirkung. A ls der Komponist Philip Glass zusammen mit dem Theaterregisseur Robert Wilson Anfang der 1970er-Jahre über ein gemeinsames Musiktheatervorhaben sinnierte, bestand das Ziel darin, eine völlig neue Musik- und Theatersprache zu erschaffen. Grenzen zwischen Musik, Text, Schauspiel, Gesang, Bild und Bewegung galt es aufzulösen und in neuartiger Einheit zusammenzubringen. Das Thema – Einstein – war schnell gefunden, wobei nicht seine Biografie, sondern sein bewusstseinserweiternder Blick auf die Wissenschaft in den Fokus rückte. „Einstein war ein Revolutionär, der die Denkweisen der damaligen Konventionen der Physik infrage gestellt hat“, beschreibt Regisseur Kay Voges den Titelpatron, „das Phänomen Zeit steht im Zentrum, außerdem geht es um das Taumeln um das Verhältnis zwischen Zeit und Raum.“ Einstein habe den Begriff der Zeit neu beleuchtet und als Konstruktion der Erdansicht enttarnt, die jedoch im persönlichen Erleben relativ erscheint. Der Mensch Einstein stellte sich mit seinen Forschungen nicht außerhalb der Zeit, er engagierte sich, formulierte die Frage nach dem Sinn und den Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis, forderte vom Fortschritt auch die Frage nach seinem gesellschaftlichen Nutzen ein. Und er feierte die Musik als große Zeit-Kunst, als Nachweis des Un- THOMAS M. JAUK 60 | HEINZ | 05.2017

Multimediales Happening „Einstein on the Beach“ von Philip Glass und Robert Wilson stellt in der innovativen musikalischen (geprägt von Glass’ Erfahrungen mit fernöstlicher Musik) sowie inhaltlichen Gestaltung eine Ikone des neuartigen Musiktheaters dar. Nach der Uraufführung beim Festival in Avignon (1976) waren die Reaktionen gespalten und reichten von überschwänglicher Begeisterung bis zu höhnischen Ablehnungen. Reich wurden die Macher durch die anschließende Europatournee – trotz ausverkaufter Säle – nicht. Die Dortmunder Produktion ist die Erste, die ohne unmittelbaren Einfluss durch die Schöpfer auf die Bühne gebracht wird. Beteiligt sind neben dem ChorWerk Ruhr die Ensemble- Schauspieler Andreas Beck, Bettina Lieder, Eva Verena Müller und Rafaat Daboul sowie als Sänger Hannes Brock, Ileana Mateescu und Hasti Molavian. THOMAS M. JAUK erklärlichen und des unendlichen geistigen und emotionalen Raums. „Man kann niemals in den gleichen Fluss springen“, führt Kay Voges in Verweis auf Beckett an, „durch Variationen und endlos erscheinende Wiederholungen wird das Gleiche, wird der Augenblick noch einmal neu und damit anders.“ Ein Prinzip, was „Einstein on the Beach“ (uraufgeführt 1976) in minimalistischen Tonfolgen bestimmt. Kleine musikalische Einheiten werden von den Mitwirkenden (dem zwölfköpfigen Chor, vier Schauspielern sowie drei Sängern) in Variationen fast endlos scheinend wiederholt und bedeuten in der Ausführung eine enorme Kraftanstrengung am Rande des Menschenmöglichen – inklusive Konzentrationsverschleiß und Ermüdung. Für den Zuschauer hingegen könne sich daraus eine Art Trance-Zustand ergeben, aus dem er eine beruhigende Wirkung ziehen kann. „Wie eine entspannende Rückenmassage“ sei dieser rein menschlich hergestellte Loop, sagt Voges – sofern man sich darauf einlässt. Ein vierstündiges Musiktheater ohne Handlung im hypnotisch-repetitiven Stil, in das das Publikum mit eigenen Assoziationen versinken kann und das sicher keinen klassischen Opernabend darstellt. Vielmehr „ein Happening“, so Voges, bei dem es den Besuchern erlaubt ist, individuelle Pausen einzulegen und den Saal nach Belieben zu verlassen. Vier Akte, strukturiert in Storyboards, laden ein zu einer Reise, die mit einer Zugfahrt beginnt und in „Spaceship“ bei den Sternen losgelöst von Zeit und Raum sämtliche Erdung hinter sich lässt. Um diesen, auf einem musikalisch-mathematischen Raster basierenden schwerelosen Zustand zu erwirken, bedurfte es einer monatelangen und intensiven Vorarbeit. Und auch während der Probenzeit gehören aufkommende, zumeist technische Fragen zur täglichen Herausforderung, abgesehen von der organisatorischen Feinarbeit, die das Zusammenspiel der beteiligten Sparten mit sich bringt. Plus dem ChorWerk Ruhr als Gast, eines der renommiertesten Vokalensembles für zeitgenössische Musik, das unter der musikalischen Gesamtleitung von Florian Helgath laut Voges „die Hauptrolle einnimmt“. Neben den Darstellern gestalten zwei Orgeln bzw. Keyboards, mehrere Saxofone und Flöten sowie ein in einem 20-minütigen Solo in Erscheinung tretender Geiger die Szene, außerdem sorgen Video- und Tonkünstler für ganz besondere optische Effekte. Mit einer speziellen Technik wird die Musik zu einem direkten Pulsgeber für die Lichtmaschinerie, die neben der Bühne auch die Kostüme der Mitwirkenden illuminiert. Darüber hinaus experimentiert Kay Voges mit neuartigen „Tiefeninformationskameras“, die nicht nur die Oberfläche abfotografieren, sondern auch die dritte Dimension des arbeitenden Musikers zeigen. Einen ersten Eindruck davon vermittelte die öffentliche Probe, in der das Produktionsteam auf der großen Bühne des Opernhauses Einblicke präsentierte und bei der sich die theoretisch dargestellte Sogwirkung bereits direkt bei Beginn einstellte. Ein außergewöhnliches Erlebnis, bei dem die Zeit im (Raum)-Flug vergeht. Kerstin Turley ❚ EINSTEIN ON THE BEACH Oper Dortmund, Theaterkarree 1-3, Tel. (0231) 5027222; Termine: 28.4., 4./13.5., jew. 18.30, 4.6., 18 Uhr; Preise: 10-49 €; www.theaterdo.de 05.2017 | HEINZ | 61

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