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HEINZ MAGAZIN ESSEN 05-2017

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HEINZ Magazin Mai 2017, Ausgabe für Essen

KINO TIPP DES MONATS Wie

KINO TIPP DES MONATS Wie am Jüngsten Tag Himmlische Gerechtigkeit Das Gelobte Land sieht anders aus. Mitten in die öden Ebenen brachliegender Äcker und verlassener Industrieanlagen komponiert Bouli Lanners die Weihnachtsgeschichte als Euro-Western- Blues mit amerikanischen Anleihen bei Coen und Tarantino. „Das Ende ist erst der Anfang” nimmt die Zuschauer mit auf eine erbauliche Odyssee zwischen düsterer Depression und Hoffnungsschimmer am endlosen Horizont. D er Wilde Westen ist immer auch Projektionsfläche von Seelenlandschaften gewesen. So wie John Ford seine Western-Epen in die Kulisse des Monument Valley (eigentlich nicht grade die Heimat der Cowboys) verlegte, so platziert Bouli Lanners seinen Euro- Western in die scheinbar endlosen Weiten der Beauce, einer Gegend in der Nähe von Orléans. Der Effekt könnte kaum unterschiedlicher sein: der Mensch winzig klein in erhabener Landschaft dort und hier der Mensch ein Detail in der Tristesse einer Kulturlandschaft aus abgeernteten Feldern und abgewirtschafteten Gewerbe-Gebieten. So wie bereits Felix van Groeningen in „Broken Circle“ seiner belgischen Heimat mit Bluegrass-Musik den amerikanischen Blues einhauchte, so lässt uns sein Landsmann Lanners die „Prärie“ in Zentralfrankreich erfahren. Hier verhängen düstere Wolken den Horizont und statt den Geist der Freiheit atmet die Gegend die Stumpfheit seiner Bewohner. Zwei Revolvermänner „reiten“ im Pickup durch diese Gefilde. Für ihren Auftraggeber sollen sie ein gestohlenes Handy mit brisantem Datenspeicher suchen. Das wortkarge Miteinander der beiden wird durch Dialoge unterbrochen, die an die legendären Ganoven-Diskurse von Tarantinos „Pulp Fiction“ erinnern. Gilou (gespielt von Bouli Lanners) und Cochise sind nicht mehr die Jüngsten, aber für die örtlichen Thekenhelden reicht ihre Schlagkraft allemal. Nur vom Handy finden sie keine Spur. Das befindet sich nämlich in den Händen eines anderen Fremden: Willy heißt das schmächtige Männlein, das mit seiner Frau Esther auf einer ziem- 52 | HEINZ | 05.2017

© KRIS DEWITTE Bouli Lanners Er ist eines von diesen toughen Gesichtern, die dem belgischen Leinwand-Blues Kontur verliehen haben. Philippe, genannt „Bouli“, Lanners gehört praktisch von Anfang an zum Dunstkreis dieser Off-Mainstream-Richtung, die die Fahne des frankofonen Arthouse-Kinos auch in der Flut der leichten Komödien hochhält. 1991 trat Lanners noch als namenloser Gangster in einem der Gründungswerke dieses Genres auf: Jaco Van Dormaels „Toto der Held“. Unter den rund 25 Filmen, in denen Lanners als Schauspieler auftrat, zeigt sich immer wieder das „andere“ Frankreich. Statt der gefälligen „Sch’tis“ geht „Louise Hires A Contract Killer“ (2008) mit der Strukturschwäche im Norden Frankreichs ganz anders um. Ruppig ging es auch in dem nächsten Film von Gustave de Kevern und Benoît Delépine zu, diesmal stieg Gérard Dépardieu für ein skurriles Roadmovie auf die „Mammuth“ (2010). In der Außenseiterromanze „Der Geschmack von Rost und Knochen“ (2012) verkörperte Lanners erneut einen hartgesottenen Typen jenseits bürgerlicher Werte. Ganz antibourgeois ging es auch zuletzt in „Ich bin tot, mach was draus!“ (2015) zu: Eine belgische Punk-Band geht quasi posthum auf US- Tour – zusammen mit ihrem jüngst verstorbenen Leadsänger. Bouli Lanners wurde 1965 in der Nähe von Lüttich geboren und studierte zunächst Malerei in der Stadt, die die Gebrüder Dardenne regelmäßig zum Schauplatz ihrer Sozialdramen (zuletzt: „Das unbekannte Mädchen“) gemacht haben. Hier spielt auch Lanners erster eigener Film „Ultranova“ (2005), in dem bereits die Tristesse von seelenlosen Siedlungen und traumatisierten Figuren thematisiert wurde. Auch „Eldorado“ (2008) spielt auf der Kehrseite des Glücks: Ein frustrierter Autoverkäufer und ein krimineller Junkie gehen eine brüchige Freundschaft ein. Für Lanners ist die „wahre Fiktion“ auch eine Geschichte seines Vaterlandes: Die Härte der Väter treibt die Söhne in die Drogensucht, Hunde werden gefesselt von der Autobahnbrücke geworfen und jeder wird schuldig, auch wenn er nur helfen will. Auch sein nächster Film „Kleine Riesen“, ein Roadmovie über drei jugendliche Ausreißer spielt im tristen Niemandsland zwischen Sozial-Drama und surrealem Märchen. Diesem Sujet bleibt Lanners auch in seinem neuen Film treu. EINZIGES NRW OPEN AIR SO. 6.8.2017 MÖNCHENGLADBACH SPARKASSENPARK BEGINN: 20.00 UHR BRYANADAMS.COM DAS ALBUM „GET UP“ IM HANDEL TICKETS UNTER: SPARKASSENPARK.DE & TICKETMASTER.DE GASOMETER OBERHAUSEN © KRIS DEWITTE lich kopflosen Flucht ist. Die endet vorerst in den Fängen einer lokalen Posse, die Willy nach einem Diebstahl im Motel zu fassen kriegt. Dabei wandert das Handy in den Besitz des miesen Typen, der schon einschlägige Bekanntschaft mit Cochises Fäusten machte. Zu den seltsamen Begebenheiten auf den Wegen dieses Roadmovies gehören neben einer mumifizierten Leiche auch die Figur des Jesus. Dem schießt Willy versehentlich ein Loch in die Hand und er wacht wie ein Schutzheiliger über das Schicksal von Willy und Esther – und dafür knallt er auch ganz unchristlich einen Gangster über den Haufen. Die kuriosen Fügungen des Schicksals münden schließlich in ein veritables Showdown im Gewerbegebiet. Doch da haben Gilou und Cochise ihren Job schon an den Nagel gehängt und sind unterwegs im Auftrag des Herrn – schließlich müssen sie dem jungen Paar helfen, das Kind wiederzufinden. Mit dem Originaltitel „Les premiers, les derniers“ spielt Lanners auf die Redewendung „Die Ersten werden die Letzten sein“ an, die im Neuen Testament auf den Jüngsten Tag verweist. Dann werden eben die Willys und Esthers, denen Jesus den Weg zeigte, himmlische Gerechtigkeit erfahren. Und: „Das Ende ist erst der Anfang“ – auch für die Mumie, die von Michael Lonsdale und Max von Sydow ein improvisiertes Begräbnis erhält. philipp koep ❚ DAS ENDE IST ERST DER ANFANG (Les premiers, les derniers) F/B 2017, 98 Min., Regie und Buch: Bouli Lanners, mit: Bouli Lanners, Albert Dupontel, Suzanne Clément, Michael Lonsdale; Start: 11.5. BIS 30.11.2017 WWW.GASOMETER.DE VERLÄNGERT

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