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HEINZ MAGAZIN DORTMUND 06-2017

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HEINZ Magazin Juni 2017, Ausgabe für Dortmund

Magnetische Blicke Sam

Magnetische Blicke Sam Shaw zeigt Unerwartetes. Marilyn Monroe mit hochfliegendem Kleid im Luftstrom aus dem U-Bahn- Schacht – das ist eine Ikone der Fotografie. Und eines der ganz wenigen Motive, die Sam Shaw tatsächlich inszeniert hat. Der New Yorker Fotograf liebte Natürlichkeit, Dynamik, Menschen hautnah, am Filmset wie auf der Straße. Eine große Retrospektive macht zurzeit Station in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen. Woody Allen, London 1967 Leroy Robert (“Satchel”) Paige, New York City Ende der 40er Jahre Mrs. Banks, Farmpächterin, Missouri 1943 © FÜR ALLE 3 BILDER: SAM SHAW INC. – WWW.SHAWFAMILYARCHIVES.COM 56 | HEINZ | 06.2017

MARILYN MONROE, NEW YORK CITY 1954 (DAS VERFLIXTE 7. JAHR) © SAM SHAW INC. - WWW.SHAWFAMILYARCHIVES.COM D as überrascht: Kein Eyecatcher erwartet die Besucher im Foyer, keine Marilyn im Großformat, die, neckisch mit der Kamera flirtend, ihr hochwehendes weißes Plisseekleid zu zähmen sucht. An den Wänden rundum nur Kleinformate in Schwarz-Weiß – und Sam Shaws (1912-1999) weltberühmtes Foto hängt bescheiden im Nebenraum. Die gesamte Ausstellung der Ludwiggalerie präsentiert sich kleinteilig. Das ist gewollt. Shaw lockt die Betrachter ganz nah heran an sein Motiv, sodass sich im konzentrierten Blick die Bild-Erzählung entfalten kann. Eine Auswahl aus Shaws reichem Lebenswerk tourt zurzeit, unterstützt von den Shaw Family Archives, als Wanderausstellung um die ganze Welt, doch präsentiert sich an jedem Ort in anderer Form. Für die Schau in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen hat Kuratorin Nina Dunkmann rund 230 Schwarz-Weiß-Fotografien aus 60 Schaffensjahren ausgewählt, thematisch arrangiert, einigen kleine Geschichten beigefügt und die Räume mit Vitrinen für Zeitschriften, Briefe, Notizen und Original-Kameras angereichert. Im Fokus steht Shaws Arbeit in all ihren Facetten: die Porträts von Filmstars, Musikern, Sportlern, Künstlern und Intellektuellen im Erdgeschoss, Reportage-Fotografie im ersten Stock, Aufnahmen am Filmset und Filmproduzententätigkeit im zweiten. Schon die Porträtaufnahmen im Eingangsbereich zeigen Shaws Faible für ungewöhnliche Blickwinkel und ungezwungene Natürlichkeit. Shaw hat eine künstlerische Ausbildung absolviert und sich erst nach Tätigkeiten als Gerichtszeichner, Cartoonist und Art Director ab den 1940er Jahren der Fotografie und dem Film zugewandt. Der Zeichner griff zur Kamera. Und fotografierte vorzugsweise in Schwarz-Weiß, um grafische Qualitäten zu betonen und eine tiefere emotionale Wirkung zu erzielen. Es galt, einen besonderen Moment einzufangen, der eine Geschichte erzählt oder einen Menschen in einem privaten, unverkünstelten Zustand „erwischt“ – Posing, Studioaufnahmen und nachträgliche Retuschen waren nicht sein Ding. An Liz Taylors Hals prangt die Narbe eines rettenden Luftröhrenschnitts. Woody Allen darf eine Schnute ziehen, Marlon Brando im schlichten T-Shirt rauchen. Anthony Quinn lässt seine Hände flattern, Marcel Duchamp Luftballons steigen und John Wayne mit Cowboyhut gerät zur tief verschatteten Silhouette, während die lasziv hingefläzte Sophia Loren den Betrachter offen ins Visier nimmt. Blicke, Gesten, Haltungen erzeugen Nähe und zeigen Stil. Marilyn Monroe ist besonders. Mit ihr freundet Shaw sich an, als er als Standfotograf bei den Dreharbeiten zu „Viva Zapata!“ (1952, Regie: Elia Kazan) arbeitete und sie als völlig unbekannte Aushilfskraft ihm, der keinen Führerschein besaß, von 20th Century Fox als Fahrerin zugeteilt war. Als sie sich 1954 wiedersehen, ist sie der Star des Billy-Wilder- Films „Das verflixte 7. Jahr“ und Shaw inszeniert sie in einer PR-Aktion vor Filmstart auf dem Lüftungsschacht. Die Foto-Ikone hängt in einem eigenen Marilyn-Raum neben selten gezeigten Aufnahmen, darunter der Blick aus dem Fenster, ganz entspannt, ganz das Mädchen von nebenan – ein Lieblingsbild der Schauspielerin, wie ihre handschriftliche Notiz in der Vitrine verrät. Die Fotoauswahl im ersten Stock stellt Shaw als Fotojournalisten vor, der viel reist, immer in Bewegung bleibt und dabei Bewegtes und Bewegendes ablichtet. Visuelle Abenteuer begegnen ihm überall. Stets hat er zwei, manchmal vier Kameras am Hals, mit Tele, mit Weitwinkel, S-Wund Farbfilm, immer bereit, „das Unerwartete zu finden, an der nächsten Ecke, zu sehen, was passiert“, wie er sagt. Seinen Hang zur Dynamik kann er als Sportberichterstatter ausleben. Er fotografiert spielende Kindern, Spaziergänger, Verliebte oder Tatorte, begleitet Jazz-Musiker, besucht Bergarbeiter und Farmer … Überall entdeckt und fixiert er anrührende Bildgeschichten, die sich im Kopf des Betrachters verselbständigen. Kein Wunder jedenfalls, dass Sam Shaw zum Film gefunden hat. Die zweite Ausstellungsetage stellt ihn als Setfotografen vor, der in Drehpausen die Stars ablichtet und sich seit den 1960er Jahren zudem als Filmproduzent und -berater einen Namen macht: Sein Film „Gloria“ (Regie: John Cassavetes) erhielt 1980 einen Goldenen Löwen. Als Bildermacher bewegt sich Shaw zwischen Grafik und Film, mit dem Blick eines Künstlers und der Fotografie als Medium. Claudia Heinrich ❚ SAM SHAW: Finding the Unexpected. 60 Jahre Fotografie Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer Allee 46, Oberhausen; Dauer: bis 17.9., Di-So 11-18 Uhr; www.ludwiggalerie.de 06.2017 | HEINZ | 57

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