Aufrufe
vor 6 Jahren

HEINZ MAGAZIN DORTMUND 01-2017

  • Text
  • Dortmund
  • Bochum
  • Frei
  • Eintritt
  • Raum
  • Wuppertal
  • Oberhausen
  • Duisburg
  • Bergisches
  • Zeche
HEINZ Magazin Januar 2017, Ausgabe für Dortmund

KINO TIPP DES MONATS

KINO TIPP DES MONATS Eine „starke” Frau Emanzipiert Sie hat sich auf unkonventionelle Frauenfiguren jenseits des Weibchenmusters spezialisiert: Adèle Haenel. Mittlerweile hat die 27-Jährige bereits in zwanzig Filmen gespielt. Jetzt ist die französische Schauspielerin als Hauptdarstellerin in zwei Kinostarts zu sehen. Von der Kraft weiblicher Entschlossenheit ist in beiden Filmen jede Menge zu spüren, wenn auch in ganz unterschiedlicher Weise. 52 | HEINZ | 01.2017

„DIE BLUMEN VON GESTERN“, © EDITH HELD, FOUR MINUTES FILMPRODUKTION D ie Verantwortung liegt bleischwer auf den Beteiligten wie die Tristesse auf der rußigen Stahlarbeiterstadt Seraing. In ihrer belgischen Heimatstadt inszenieren die Gebrüder Dardenne unter dem Titel „Das unbekannte Mädchen” den Tod einer Afrikanerin zum Sozialdrama einer Gemeinde im Niedergang. Für die junge Ärztin ist der Ort nur eine kurze Zwischenstation auf dem Weg zu einer besseren Stellung. Für den erkrankten Kollegen Habran springt sie in dessen Hausarzt-Praxis ein. Doch das berufliche Intermezzo erweist sich als schicksalhaft. Den jungen Praktikanten Julien weist sie so rüde zurecht, dass er noch am gleichen Tag kündigt und das Medizinstudium an den Nagel hängt. Kurz darauf klingelt es nach Feierabend an der Praxistür – Jenny beschließt, nicht zu öffnen. Am nächsten Tag erfährt sie von der Polizei, dass die junge Frau auf dem Überwachungsvideo des Praxiseingangs kurz darauf gewaltsam zu Tode kam. Für Jenny ist Reue angesagt. Sie macht sich auf den Weg, Julien von seinem Entschluss abzubringen, und sie versucht etwas über die unbekannte Tote herauszufinden, von der die Polizei noch nicht einmal den Namen kennt. So weit könnte der Film glatt als belgischer „Tatort“ durchgehen, doch für Jean-Pierre und Luc Dardenne ist der Mordfall lediglich Katalysator einer Gesellschaft, der die bindenden Glieder verloren gehen. Und so lernt Jenny eine Lektion in Sachen Verantwortung und Achtsamkeit, die heute vielfach schon als Fremdwort betrachtet werden. Frauen in prekären Umständen stehen in Chris Kraus’ Tragikomödie „Die Blumen von gestern” im dramatischen Mittelpunkt. Ob die musikbegabte Gefängnisinsassin Jenny in „Vier Minuten“ oder die Gutsherrentochter am Vorabend des Ersten Weltkriegs in „Poll“: Die Vergangenheit spielt immer eine prägende Rolle. In seinem neuen Film wagt sich der Filmemacher mit heikler Perspektive an ein brisantes Thema: Darf der Holocaust auch grotesk sein? Für den Historiker Totila (Lars Eidinger) ist die Shoa jedenfalls ein todernstes Thema. Er soll eine Überlebende als zentrale Zeitzeugin für eine Holocaust-Tagung gewinnen. Da findet er die junge französische Assistentin Zazie (Adèle Haenel) mit ihren unkonventionellen Auffassungen genauso fehl am Platze wie eigentlich auch Frau Rubinstein. Die Auschwitz-Überlebende will nämlich lieber über ihre Schönheitsoperationen als über „damals“ reden. Im diffizilen Geflecht der Sachzwänge um Forschungsmittel, Sponsoren und Medienerfordernisse geraten die Dinge endgültig aus den Fugen, als Zazie Totila eröffnet, wer sie wirklich ist: Ihre jüdische Großmutter ging einst mit Totilas Großvater in Riga zur Schule. Der spätere NS-Bonze wurde als KZ-Leiter zum Mörder der Klassenkameradin. So offenbart sich nicht nur Totilas Forschung als biografische Obsession, sondern auch Zazies Interesse an ihm als hochneurotisch: Durch eine erotische Verbindung soll die Vergangenheit geheilt werden. Der groteske Ansatz ist Geschmackssache, aber originell ist er jedenfalls. Und Adèle Haenel spielt diesen Fall von generationsübergreifendem Stockholm-Syndrom mit ergreifender Präsenz. philipp koep ❚ DAS UNBEKANNTE MÄDCHEN (La fille inconnue) F/B 2016, 113 Min., Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne, mit: Adèle Haenel, Olvier Gourmet, Jérémie Renier, Fabrizio Rongione; Start: 15.12. ❚ DIE BLUMEN VON GESTERN D/A 2016, 125 Min., Regie u. Buch: Chris Kraus, mit: Adèle Haenel, Lars Eidinger, Hannah Herzsprung, Jan Josef Liefers, Sigrid Marquardt, Bibiana Zeller, Rolf Hoppe; Start: 12.1. Samson Young, Pastoral Music (But It Is Entirely Hollow), 2014 -, Photo documentation of fieldwork, Credit: Dennis Man Wing Leung SIMON FUJIWARA FIGURES IN A LANDSCAPE 17. DEZ. 2016 — 5. MÄR. 2017 SAMSON YOUNG A DARK THEME KEEPS ME HERE, I’LL MAKE A BROKEN MUSIC Kunsthalle Düsseldorf Grabbeplatz 4 40213 Düsseldorf www.kunsthalle-duesseldorf.de Di – So, Feiertage 11 – 18 Uhr „DAS UNBEKANNTE MÄDCHEN“, © TEMPERCLAYFILM, CHRISTINE PLENUS Adèle Haenel Bereits bei ihrem ersten Auftritt beeindruckte sie mit der Darstellung eines autistischen Mädchens in dem Findlingsdrama „Kleine Teufel“ (2002). Sie war dreizehn und das Publikum war begeistert, da hatte die Tochter eines österreichischen Übersetzers und einer französischen Lehrerin gerade ein wenig Schauspielunterricht in der provinziellen Ile de France absolviert. Fünf Jahre später spielte Adèle Haenel die Hauptrolle in „Water Lilies“ (2007), einem Initiationsdrama über die Irrungen und Wirrungen des erotischen Erwachens. Der Film wurde auch für die Kinodebütantin Céline Sciamma ein Achtungserfolg, seither sind Adèle Haenel, die den César als beste Nachwuchsdarstellerin erhielt, und die Filmemacherin privat ein Paar. 2014 gewann Haenel den französische Oscar „César“ für eine Nebenrolle in „Die unerschütterliche Liebe der Suzanne“ und im folgenden Jahr für die Hauptrolle in der eigenwilligen Mischung aus Romanze und Überlebenstraining „Liebe auf den ersten Schlag“. Kunsthalle Düsseldorf Grabbeplatz 4 40213 Düsseldorf www.kunsthalle-duesseldorf.de Di – So, Feiertage 11 – 18 Uhr Gefördert durch Mit freundlicher Unterstützung von Ständige Partner Simon Fujiwara, Joanne, 2016, Commissioned by FVU, The Photographers' Gallery and Ishikawa Foundation, Supported by Arts Council England, © The Artist Die Aus stel lung und der Ka ta log Samson Young wur den im Rah men des För der prei ses „Ka ta lo ge für jun ge Künst ler“ un ter stützt durch:

Heinz-Magazine 2019

Heinz-Magazine 2018

Heinz-Magazin 2017

Heinz-Magazin 2016