Aufrufe
vor 6 Jahren

11-2017 DORTMUND HEINZ MAGAZIN

  • Text
  • Dortmund
  • Bochum
  • Wuppertal
  • Oberhausen
  • Jazz
  • Duisburg
  • Musik
  • Werke
  • Zeche
  • Vortrag
Heinz Magazin November 2017, Ausgabe für Dortmund

KINO | ÜBERSICHT LUKAS

KINO | ÜBERSICHT LUKAS VERING Mehr für die Kunst Ein trauriger Trend zeichnete sich im bisherigen Kinoherbst ab: Obwohl Regisseure, Schreiber und Produzenten sich endlich mal aus der Komfortzone gewagt haben und mit „mother!“ und „Blade Runner 2049“ künstlerisch hochanspruchsvolle Filme mit großem Budget in die Kinos gebracht haben, scheint das Publikum daran wenig Interesse zu haben. Beide Filme konnten nicht die gewünschte Menge an Kinobesuchern anziehen. Dabei haben sie so viel zu sagen, so viel zu erzählen, so viel zu bedeuten. Im November sollte sich der geneigte Cineast daher nicht lumpen lassen, sich von der Couch aufraffen und die kleinen Filme im Kinoprogramm mit einem Besuch beehren. Etwa das deutsche Familiendrama „Sommerhäuser“, mit ruhigem aber mächtigem Erzählstil, aus dem man so viel mehr mitnimmt, als bloß ein Stündchen seichte Unterhaltung. Oder Detroit, The Big Sick und Good Time. Doch wer zwischendurch argen Popcornhunger verspürt, dem werden diesen Monat ja auch noch zwei gigantische Blockbuster voller Superhelden aufgetisch. Tatsächlich ist doch für beide Arten von Filmen Platz in Hirn und Herz. Lukas Vering : ©2017 COMATOSE INC._Photo by Nicole Rivelli ©2017 Constantin Film Verleih GmbH / Reiner Bajo MORD AN BORD Mord im Orient-Express In der aktuellen Revivalwelle ist es eigentlich gar bestaunenswert, wie lange die Werke von Krimikönigin Agatha Christie unangetastet blieben. Nun ist Schluss mit Ruhe, denn es fährt ein mit Hollywood-Stars vollgestopfter Zug aus dem Orient Richtung Mordfall. Das Passagierregister der Neuverfilmung liest sich dabei wie eine Gästeliste zur Awardshow-Afterparty in eleganter Abendrobe – nur das hier einer der illustren Gäste, ganz wie beim beliebten Kinderspiel „Mord in der Disco“, heimlich gemeuchelt wird und alle Zugreisenden mächtig verdächtig wirken. Für den richtigen Dreh am klassischen Stoff sorgt der in Historienfilmen versierte Regisseur Kenneth Branagh, der auch gleich noch die Hauptrolle des belgischen Detektivs Hercule Poiroit übernimmt. Rollt! lv ❚ MORD IM ORIENT-EXPRESS USA 2017, R: Kenneth Branagh D: K. Branagh, Judi Dench, Daisy Ridley, Michelle Pfeiffer, Willem Dafoe, Start: 9.11. SCHULE FÜR ANFÄNGER Fack ju Göhte 3 Als im Jahre 2013 das kleine, deutsche Filmchen „Fack ju Göhte“ auf die Leinwände tänzelte, sah so mancher eine Offenbarung Gestalt annehmen. Mit frischem, wenig zimperlichem Humor, pikanten Einblicken in das vor sich hinmarodierende deutsche Schulsystem, in dem Zukunft für die Jugend nur nach verschlossenen Türen aussieht, und einer aufrichtig ans Herz gehenden Geschichte, traf man einen Nerv. In den wird jetzt zum inzwischen dritten und damit zum letzten Male gebohrt – denn die durchgeknallte Schulklasse von Ex-Ganove Zeki Müller will noch durchs Abi gebracht werden. Auch wenn Rezept und Mixtur inzwischen gut bekannt und oft nachgeahmt sind, bleibt „Fack ju Göhte 3“ forsch, mutig, relevant und vor allem urkomisch. lv ❚ FACK JU GÖTHE 3 DEU 2017, R: Bora Dagtekin D: Elyas M‘Barek, Jella Haase, Max von der Groeben, Katja Riemann; Start: 26.10. KOMATÖS IN CHICAGO The Big Sick Kumail kommt aus Pakistan, lebt in Chicago, fährt Uber, versucht sich als Comedian und darin, sich aus elterlich angeleierten Ehearrangements zu winden. Und dann stürzt er sich in eine Beziehung mit Emily, deren Vergeigung er nicht retten kann, weil die Holde vorher ins Koma fällt. Der Clou: Das Drehbuch schrieb Kumail zusammen mit seiner Frau und erzählt darin die Geschichte ihres Kennenlernens. Genau dieser Fakt verleiht dem Film die Geheimzutat, die „The Big Sick“ aus der Masse an lustigen Romanzen hervorstechen lässt. Hier sieht man echte Personen, die sich real anfühlen, deren Emotionen nie überzogen wirken, sondern immer greifbar. Dazu webt der Film geschickt Ideen über Kultur, Comedy und Familie ein. Auch wenn teils mehr Druck auf die Tränendrüse, als auf das Zwerchfell ausgeübt wird, sitzt der spritzige Humor. lv ❚ THE BIG SICK USA 2017, R: Michael Showalter, D: Kumail Nanjiani, Zoe Kazan; Start: 16.11. © 2017 Twentieth Century Fox DETAILVERNARRT Sommerhäuser „Sommerhäuser“ zeigt das Zusammentreffen einer Familie im Haus mit Garten der jüngst verstorbenen Urgroßmutter. Dabei schwelen natürlich unter der Oberfläche die typischen Konflikte und Machenschaften eines Familiendramas, beigemischt sind neben Hochsommerflair und einer unaufgeregten Hommage an die späten 70er in Deutschland aber auch düstere Untertöne. Regisseurin Sonja Kröner zeigt in ihrem Debütfilm eine fast pedantische Detailvernarrtheit, mit der sie eine Bildercollage von magischer Bannkraft erzeugt. Vieles bleibt in diesem ruhigen, besonnenen Film unausgesprochen, etliches obliegt der Fantasie des Zuschauers, aber genau in diesen Lücken liegt die bescheidene Genialität von „Sommerhäuser“. lv ❚ SOMMERHÄUSER DEU 2017, R: Sonja Maria Kröner; D: Ursula Werner, Laura Tonke, Thomas Loibl, Günther Maria Halmer; Start: 26.10. © 2017 PROKINO Filmverleih GmbH 50| HEINZ |11.2017

© temperclayfilm ÜBLES ENIGMA Good Time In „Good Time“ hat der genauso glück- wie ruchlose Kleinkriminelle Connie Nikas entgegen des Filmtitels alles andere als eine gute Zeit. Nachdem er seinen geistig behinderten Bruder mit auf die schiefe Bahn zieht und dieser im Knast landet, versucht Connie ihn mit allen Mitteln wieder auf freien Fuß zu kriegen – und versinkt dabei immer tiefer in Lügen, Verbrechen und Gewalt. Anstatt aus diesem Stoff einen erwartbar grimmigen, monochromen Thriller zu stricken, liefern die regieführenden Safdie-Brüder einen knallbunten, schrillen, kantigen und auffälligen Film ab. „Good Time“ ist ein spannendes, dreistes und abgefucktes Enigma, das einen auch nach dem Kinobesuch noch beschäftigt. Robert Pattinson überwältigt dabei als übler Typ ohne Rücksicht oder Gewissen. lv ❚ GOOD TIME USA 2017, R: Ben & Joshua Safdie D: Robert Pattinson, Ben Safdie Start: 2.11. HARTE ESKALATION Detroit Regisseurin Kathryn Bigelow traute sich schon an Themen wie den Irak Krieg, die bin-Laden-Tötung und den Kalten Krieg, ihr neustes Werk zentriert die Bürgeraufstände im Detroit des Jahres 1967. Ihr Film ist dabei genauso hart, erschütternd und kompromisslos, wie die Realität der Ereignisse selbst. Bigelow fängt das frenetische Chaos und den eskalierenden Kontrollverlust der Situation fast schon unheimlich treffend ein, vergisst dabei aber nie ihre Protagonisten mit klaren Linien zu zeichnen. „Detroit“ ist sicherlich kein einfach anzuschauender, aber ein wichtiger Film. Und auch wenn die Massen vor der thematischen Schwere und schier unerträglichen Wahrheit dieses Filmes zurückschrecken könnten, wird das Interesse an Bigelows „Detroit“ spätestens in der Awardsaison überkochen. lv ❚ DETROIT USA 2017, R: Kathryn Bigelow, D: John Boyega, Will Poulter, Anthony Mackie; Start: 23.11. © 2017 Concorde Filmverleih GmbH © marcreimann 2015 SCHWUNGLOS Whatever Happens „Whatever happens“ erzählt die Geschichte von Julian und Hannah, von ihrer Beziehung zueinander und zu ihrer gemeinsamen Wohnung, den ganzen langen Weg vom ersten Kennenlernen bis zur Trennung, vom Einzug bis zum letzten Überstreichen dieses Raumes geteilter Erinnerungen, bevor der Vermieter zur Übergabe kommt. Der Film schafft es dabei nicht immer, den Zuschauer einzufangen und mitzunehmen, wirkt beizeiten arg schwunglos und ist doch nicht mal annähernd so romantisch und ernst, wie er selber von sich annimmt. So wandeln die Protagonisten frei von jeglicher ideologischer Herausforderung teils wie leblose Porzellanfiguren durch ein Puppenhaus, leiden dabei an ihren Erste-Welt-Problemen und wissen nicht recht zu bewegen. lv ❚ WHATEVER HAPPENS DEU 2017, R: Niels Laupert; D: Fahri Yardim, Sylvia Hoeks, David Zimmerschmied, Victoria Mayer; Start: 30.11. 11.2017| HEINZ | 51.

Heinz-Magazine 2019

Heinz-Magazine 2018

Heinz-Magazin 2017

Heinz-Magazin 2016