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04_2020 HEINZ Magazin Duisburg, Oberhausen, Mülheim

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KINO | TIPP DES MONATS

KINO | TIPP DES MONATS ©2019 eOne Germany 36| HEINZ |04.2020

Klassiker mit Rundumerneuerung 1920 zu 2020 Alfred Döblins Literaturklassiker „Berlin Alexanderplatz“kommtdurch die Hand des deutschen Filmemachers Burhan Qurbaniauf dieLeinwand.Dochstatt sich wie im Original im aktuell trendigenMilieu der 1920er zu bewegen, bringt Qurbani dieGeschichteauf radikale Artins Hier undHeute. „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin erforscht die Exzesse und Abgründe inder turbulenten Zeit der 1920er, woalles rauschte und floss, aber stetig Richtung Abgrund wirbelte. Die Geschichte dreht sich um den frisch aus dem Gefängnis entlassenen Lohnarbeiter Franz Biberkopf, der im wilden Berlin daran scheitert, eine anständige Existenz aufzubauen und sich einem Leben im verbrecherischen Untergrund hingibt. Ähnlich geht esnun in Qurbanis Filmversion zu –nur dass die Zuschauer imJahr 2020 einem frisch gestrandeten Flüchtling folgen. Mit einer furios inszenierten Eröffnungssequenz wirft Qurbani einen direkt ins Geschehen und beginnt mit visuell überwältigender Kraft die Geschichte von Francis. Der wird im Laufe des dreistündigen Films mehrmals scheitern und fallen und immer weiter von dem Weg abkommen, den er eigentlich einschlagen wollte. Doch wie soll er ein anständiges Leben indieser rauen und feindseligen Welt führen, die ihn einfach nicht lassen will? Wie soll er gut sein, ineiner Welt, die böse ist. Er beginnt für den schrägen Drogendealer Reinhold zu arbeiten und gerät immer tiefer in die Unterwelt des modernen Berlins. Sein fatales Scheitern ist vorprogrammiert, der unausweichlichen Trägodie kann der Zuschauer nur mit gleicherHilflosigkeit dabei zuschauen, wiesie auf Francis zurast. Francis und Reinhold ©2019 eOne Germany „Berlin Alexanderplatz“ ist ein Film voll fantastischer Bildgewalt und großer Ambitionen. Ein Film, der sich Größenwahn traut, der Visionen formuliert, mehr will, als bloß zahmes oder tristes deutsches Kino zu sein. Qurbanis Übersetztung des klassischen Stoffs ins Hier und Jetzt gelingt dabei auf erstaunlich vielen Ebenen erschreckend erfolgreich – auch wenn Literaturpuristen sicher ihre Probleme finden werden. Francis Geschichte ist aber eine zeitlose, die immodernen Kontext nochmal an interessanten Dimensionen gewinnt. Qurbani nutzt das, umeine Menge Fragen über den Zustand der westlichen Welt aufzuwerfen. Manchmal schlägt erdabei über die Stränge, will einfach zu viel. Erzählerisch dreht die Geschichte sich teilweise arg im Kreis, verheddert sich in unnötigen Kompliziertheiten und nimmt die eine oder andere Berg-und-Talfahrt zu viel –bis am Ende so viele Fäden in der Luft hängen, dass sie nicht anders können, als sich zu einem unübersichtlichen Knäuel zu verstricken. Gut, dass ein talentiertes Schauspielerensemble den Zuschauer immer wieder mit viel Charisma und Spielfreude zurück ins Geschehen zieht. Besonders auffällig: Albrecht Schuch („Bad Banks“) als stranger, ruchloser, aber doch enigmatischer DrogenvogelvollerEigenartigkeiten. Dennoch: „Berlin Alexanderplatz“ ist ein herausragendes Stück deutschen Kinos. Eines, dass immer auf einem feinen Grat wandert, aber nie zueiner Seite wegkippt. Oft etwa befürchtet man, dass der Film in der nächsten Sekunde zueiner dieser stumpfen und aufgeblasenen Gangster-Epen abfällt, die aktuell den deutschen Markt mit fraglichen Männlichkeitskonzepten und Gesellschaftsvorstellungen dominieren (siehe „Skylines“ oder „Asphaltgorillas“). Dafür ist diese Version aber zuintelligent –zum Glück. Also: „Berlin Alexanderplatz“ ist cineastisch, mutig, visionär und (manchmal vielleicht etwas zu) gierig nach mehr. LukasVering Francis und Mieze ©2019 eOne Germany ❚ BERLINALEXANDERPLATZ DEU 2020 R: Burhan Qurbani; D: Welket Bungué,AlbrechtSchuch, Jella Haase; Start: 21.5. (verschobenvon 16.4.) 04.2020| HEINZ |37

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