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04-2018 DORTMUND HEINZ MAGAZIN

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Heinz Magazin April 2018, Ausgabe für Dortmund

KUNST | TIPP DES MONATS

KUNST | TIPP DES MONATS Krone im Eimer Irrtümer und Fälschungen Da findet Hobbyarchäologe Philipp Houben 1838 in Xanten ein mittelalterliches Grab mit Schädel und gezackten Kupferblechobjekt. Eine Herrscherkrone! Dachte er. Heute weiß man es besser: Es ist der Beschlag eines simplen Holzeimers ... Die Geschichte der Archäologie ist voller Fehlurteile. Das Archäologiemuseum in Herne hat einige Pannen ausgegraben und eine spannende, spaßige Ausstellung konzipiert. Rekonstruktion des fränkischen Grabinventars aus Xanten nach Philipp Houben und Franz Fiedler (1839). © Bayerische Staatsbibliothek D ie Geschichte der Ausstellung begann mit einem Buch, das dem Museumsleiter Josef Mühlenbrock vor Jahren schon in die Hände fiel: die Grafik-Novelle „Motel der Mysterien“ von David Macaulay, 1979 erschienen. Eine echte Entdeckung, anlässlich der jetzigen Ausstellung neu übersetzt: Der Kunsthistoriker und Grafiker Macaulay erzählt mit viel Witz von einem Archäologen des Jahres 4022, der die in einer Naturkatastrophe untergegangenen USA der Jetztzeit ausgräbt, dabei auf ein verschüttetes Motel mit zwei Skeletten stößt – und alle Fundstücke auf groteske, unglaublich komische Weise missdeutet. Das Motelapartment wird zur Grabkammer. Fernseher, Checkkarte, Klobürste, Duschhaube zu Kostbarkeiten eines Totenkultes. Den Pömpel erklärt er zum antiken Musikinstrument, den Badewannenstöpsel zum Amulett, die Klobrille gar zum priesterlichen Kopf-Hals-Schmuck während der Bestattungszeremonie. Ein echter Griff ins Klo – wissenschaftlich gesehen. Und ein kongenialer Prolog zur eigentlichen „Irrtümer & Fälschungen“-Schau in der großen Ausstellungshalle. Wie schon in den letzten Sonderausstellungen hat man Themeninseln gebildet, um die rund 200 Exponate anschaulich zu präsentieren. Texttafeln sind dabei nur ein kleiner Bestandteil. Gezeigt wird die Geschichte eines Exponats – von der ersten Fehldeutung bis zur Entlarvung und Berichtigung – neben den archäologischen Arbeitstechniken, die der Wahrheit auf die Schliche kamen (bzw. dem, was man zurzeit für wahr hält …). Dass die Schau jung, flott und multimedial einherkommt, dafür sorgte auch die Kooperation des Museums mit Studenten der FH Münster/School of Design, die viele anschauliche Präsentationsideen entwickelten. So wird mit einem Blick klar: Die mit Schleier- Ohne das Holz ähnelt der Beschlag eines merowingerzeitlichen Eimers tatsächlich einer Krone. © LVR-LandesMuseum Bonn/ Jürgen Vogel 56| HEINZ |04.2018

stoff drapierten fünf Themenbereiche enthüllen „Irrtümer“. Grub Schliemann das Troja aus, von dem Homer berichtet? Waren griechische Skulpturen tatsächlich in edlem Weiß gehalten? Dann diese Krone, die sich als Eimerbeschlag entpuppte. Und nicht zu vergessen die Sache mit dem mythischen Einhorn: Eines der Highlights der Schau ist die Rekonstruktion eine im 17. Jh. aufgefundenen sog. „Einhornskeletts“: ein drei Meter hohes Wesen mit nur zwei Vorderbeinen, einem Horn und einem langen Schwanz mit rollenartigem Fortsatz – so hat Otto von Guericke 1663 die bei Quedlinburg gefundenen Knochen gedeutet, die in Wahrheit wohl von Mammut und Wollnashorn stammten. Man war eben überzeugt von der Existenz des Fabelwesens, also musste es auch entdeckt werden! Ziel der Ausstellung ist natürlich keinesfalls, „einzelne Forscher zu diskreditieren, sondern Erkenntnisfortschritte der Wissenschaft zu veranschaulichen“, betonen die Kuratoren. Die Ausstellung ist ein spannender, mitunter sehr amüsanter „Ritt“ durch die Geschichte der Archäologie – von den Kinderschuhen bis heute. Topaktuell in Zeiten von Fake News, denn zwischen den Zeilen wird auch vermittelt, dass nicht jeder Nachricht sofort geglaubt werden sollte oder sie für ewig gültig bleiben muss. Besucher können die Schau nach eigenem Interesse entdecken oder mit Hilfe eines interaktiven Begleitheftes begehen. Hintergrundinformationen liefern die kostenlosen Ausstellungsführungen an jedem Sonntag, sowie an Feiertagen, immer um 16 Uhr. Archäologie entpuppt sich hier als lebendige Wissenschaft, die auch mal Fehler macht. Doch immer wieder dazulernt. Auch, dass erst einmal nichts in Stein gemeißelt ist. Claudia Heinrich ❚ IRRTÜMER UND FÄLSCHUNGEN DER ARCHÄOLOGIE Archäologie LWL-Museum für Archäologie, Europaplatz 1, Herne Dauer: 23.3.-9.9., Di/Mi/Fr 9-17 Uhr, Do 9-19 Uhr, Sa/So/Feiertag 11-18 Uhr Sondertermin: Am 29.3. lädt das Museum zur „Nacht der Irrtümer & Fälschungen: Von 20 bis 24 Uhr ist der Eintritt frei! Das gilt auch für die fünf Themenbereiche „Fälschung“, die spektakuläre Betrugsfälle der Vergangenheit aufrollen. Gefälscht wurde schon in alten Zeiten – von Metallbarren in der Bronzezeit über antike Münzen und Falschgeld aller Art bis zu Urkunden im Mittelalter. Geradezu anrührend komisch sind die Würzburger „Lügensteine“, die aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts stammen: Blümchen, Bienen, Fledermäuse, kopulierende Frösche und anderes Getier in Kalkstein, die als vermeintlich echte Fossilien wissenschaftlich erforscht wurden. Tatsache war, dass drei Jugendliche die kleinen Steinreliefs hergestellt und 1725 teuer an einen Professor Beringer verkauft hatten, der nach Jahren allerdings selbst noch den Betrug entlarvte. Hauptexponat ist eine angeblich spektakuläre Kostbarkeit: die kunstvoll gearbeitete Tiara des Skythenherrschers Saitaphernes. 1896 wurde diese vom berühmten Pariser Louvre für gutes Geld erworben, später dann aber von einem Juwelier aus Odessa als Fälschung entlarvt. Auch der Frage nach archäologischen Funden von Einhörnern geht die Sonderausstellung im Herner Museum nach. © Ars Mundi 04.2018| HEINZ |57

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