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HEINZ Magazin Oberhausen 09-2016

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HEINZ Magazin September 2016, Ausgabe für Duisburg, Oberhausen, Mülheim

KONZERTE TIPP DES MONATS

KONZERTE TIPP DES MONATS Im Wartezustand Melancholie im Kinosessel Mit dem Konzert der Tindersticks am 18. September in der Essener Lichtburg ist den Organisatoren der Ruhrtriennale ein feiner Schachzug gelungen. Das „Waiting Room Project“ ist aber noch viel mehr: Neben den Songs des aktuellen Albums der Briten bieten dazugehörige Kurzfilme auch einen visuellen Reiz, durch die jedes Stück darüber hinaus nochmals eine ganz eigene Färbung erhält. D on’t want nothing that don’t belong to us // Don’t want nothing we can live without // In this fire of autumn“, fordert Stuart A. Staples in einem seiner älteren Stücke, und fast möchte man meinen, der Kopf der Tindersticks will seine Band in eben jene Jahreszeit stecken, in die man den melancholisch-warmen Sound der Jungs aus Nottingham ohnehin für sich abgelegt hat. Die andere Assoziation beim Abhören des Gesamtwerks kann eigentlich nur das Kino sein: Bedachte Klänge, tragende Streicher, eine teils hypnotische Stimme. Das gehört auf die Leinwand bzw. als akustischer Mantel drum herum. Am 18. September treffen nun exakt diese Eindrücke im Rahmen der Ruhrtriennale aufeinander, wenn die Tindersticks eben vier Tage vor Herbstbeginn in der Essener Lichtburg ihr aktuelles, zehntes Studioalbum aufführen werden. Ja, „aufführen“, denn mit „The Waiting Room“ schufen Staples & Co. ein Projekt, das ihre schwelgenden Songs mit starken Filmsequenzen vereint, kurze Streifen, die gar nicht unbedingt im Einklang mit der Musik ablaufen. Doch gerade das ist das Bemerkenswerte an dem Werk. Um aber nochmals auf die trübe Jahreszeit zurückzukommen: Die Tindersticks waren nie die Band, die auf den großen Masterplan gesetzt hat. Dabei machen die Briten seit einem Vierteljahrhundert Musik, wurden demnach voll von der Britpop-Welle nassgemacht, sind aber nicht mitgeschwommen. Da war kein Breitband-Sound, waren keine großen Gesten. Vielmehr bewegten und bewegen sich die Songs irgendwo zwischen Sonntagnachmittagsmelancholie und Konzerthaus; „Chamber- Pop“ taufte das Feuilleton dies einst. Und eben immer wieder das Filmfach: Besonders für die französische Regisseurin Claire Denis („Nénette et Boni“, „Trouble Every Day“, „White Material“) spielten die Tindersticks 20 | HEINZ | 09.2016

STUART A. STAPLES, FOTO: RICHARD DUMAS immer wieder den Soundtrack ein; die 2011er-Compilation „Claire Denis Film Scores 1996-2009“ bietet einen Querschnitt. Mit „The Waiting Room“ drehte die Band Anfang 2016 den Spieß dann um, spielte im Studio neue Songs ein und legte diese später verschiedenen Filmemachern vor, die dadurch ganz neue Inspirationen erhalten sollten. Die zündende Idee dazu hatte Stuart A. Staples, während er als Mitglied in der Jury des Clermont-Ferrand-Kurzfilmfestivals saß und sich eine Woche lang cineastisch berieseln ließ. Kurzerhand schloss er sich mit dem Festivaldirektor Calmin Borel kurz, nutzte dessen hervorragende Kontakte und schickte seine noch unveröffentlichten Stücke an ausgewählte Filmemacher heraus. Zielvorgabe: Bilder zum Ton, bitte. Was dabei herauskam, dürfte selbst den Altmeister überrascht haben: Das waren längst keine „kleinen Begleitfilme“, die da zum neuen Album beigesteuert wurden. Vielmehr konnten die Songs von „The Waiting Room“ auf eine komplett neue Ebene gehievt werden. Da wäre etwa der Song „How He Entered“, textlich ohnehin großartig traurig inszeniert („This is how he entered // How he came in // Falling from the back of a transit van“), der von Richard Dumas und Amaury Voslion bebildert wurde. Der Protagonist des Films schlurft samt Eselsmaske durch den Tag, bastelt an einem Modellboot, lässt dieses später zu Wasser und dann den Tag samt Zigarette ausklingen. Kurze Eindrücke, eingängige Bilder, ein stimmiges Zueinanderfinden von Musik und Video. Solche Harmonie stand bei den Tindersticks übrigens nicht immer ganz oben auf der Agenda: Im Jahr 2003 kam es zur zwischenzeitlichen Auflösung der Band – Kreativität und Ideen schienen aufgebraucht. Als sich Fans und Kritiker fünf Jahre später über die Rückkehr samt dem Album „The Hungry Saw“ freuen durften, fiel auch ein gehöriges Stück Last von Stuart A. Staples und dem sich bis heute immer wieder neu formierenden Anhang ab: Längst pfeift man auf Erwartungsdruck, hat sich von alten Stücken emanzipiert und lässt auch schon mal – ganz altersmilde – Groove- und Funk-Elemente in die Songs einfließen. Dies gilt allerdings nicht für das, so möchte man meinen, zentrale Stück auf „The Waiting Room“, „Hey Lucinda“, ein Duett mit der US-amerikanischmexikanischen Sängerin Lhasa de Sela: „Hey Lucinda, come out drinking with me tonight // The summer’s almost gone // Hey Lucinda, time is running out.” Die Aufnahmen liegen schon ein paar Jahre zurück; Lhasa de Sela erkrankte später an Krebs und verstarb 2010. Da saß Staples nun mit dem fertigen Song und der Trauer über den Verlust, ließ „Lucinda“ links liegen und arrangierte erst vier Jahre später die Musik komplett neu, um sich dem Stück wieder zu nähern und es glücklicherweise auf die 2016er-Platte zu packen. Ein zuckersüßes Glockenspiel plingt und klingt nun rund um die belegte Gesangsstimme Staples‘ und die Abschiedsworte de Selas. Und auch wenn das Werk für sich steht, lohnt ein Blick auf den dazugehörigen Kurzfilm: Darin schweift die Kamera behäbig von links nach rechts, fängt grell leuchtende Spielhallen („Fun Palace“), typisch-amerikanische Vorstadt-Idylle und verlassene Hot-Dog- Buden ein. Den Filmemachern Joe King und Rosie Pedlow gelingt es darin, Bewegung und Stillstand in knapp fünf Minuten zu vereinen und somit das Konzentrat des Tindersticks-Schaffens einzufangen: der Wendepunkt zwischen Glück und Melancholie. Am 18. September holt die Ruhrtriennale nun also „The Waiting Room Project“ ins Revier, um die imposante Essener Lichtburg in ein „Wartezimmer“ voll sehnsüchtiger Songs und beeindruckender Bewegtbilder zu wandeln. Die Tindersticks performen live, liefern den Soundtrack zur Leinwand, haben aber auch weitere Songs aus ihrem Repertoire angekündigt. Der Herbst darf getrost heranwehen. Robert Targan RICHARD DUMAS ❚ TINDERSTICKS Lichtburg, Kettwigerstr. 36, Essen; Termin: 18.9., 20 Uhr; Preise: 20-40 €/ 10-20 € erm.; www.ruhrtriennale.de 09.2016 | HEINZ | 21

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