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HEINZ Magazin Oberhausen 04-2016

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HEINZ Magazin April 2016, Ausgabe für Duisburg, Oberhausen, Mülheim

Wilder Westen im Osten

Wilder Westen im Osten Breslaus Avantgarde der 1960er/1970er Jahre Nein, es reiten keine Cowboys durchs Bochumer Kunstmuseum: Der „Wilde Westen“ des Ausstellungstitels liegt in Polen. Die groß angelegte Schau wirft einen Blick nach Breslau/Wrocław, Kulturhauptstadt 2016 im Südwesten Polens. Und einen Blick zurück, 40 bis 50 Jahre weit: Vielfältig und bunt präsentiert sich die Kunstszene hinter dem Eisernen Vorhang, international vernetzt und auf der Höhe der Zeit. V orweg gesagt: Die „Geschichte der Avantgarde in Wrocław“ im Kunstmuseum ist eine Überraschung, die Ausstellung absolut sehenswert in ihrer inspirierenden Überfülle. Im Zentrum stehen zwei Jahrzehnte voller Aufbruchsstimmung: die 1960er/1970er Jahre in einer ganz besonderen, kulturell vielfältigen Stadt. Ein siebenköpfiges Kuratorenteam des Zeitgenössischen Museums Wrocław hat die Ausstellung zum Kulturhauptstadtjahr 2016 konzipiert und auf Wanderschaft geschickt. Bochum ist die dritte Station. Rund 500 Werke aus unterschiedlichen Kunst- und Kultursparten wurden hier auf zwei Etagen so abwechslungsreich und stimmig arrangiert, dass ein 56 | HEINZ | 04.2016

« Natalia LL, Consumer Art, 1972, black-and-white photographs, collection of the Lower Silesian Society for the Encouragement of the Fine Arts, photo by Małgorzata Kujda, © Lower Silesian Society for the Encouragement of the Fine Arts Rundgang richtig Spaß macht. Hoch über den Köpfen spannen sich quer durch den Raum Mega-Screens mit Performance- und Aktionsprojektionen, konzeptuelle Fotokunst hängt neben Doku-Material, es gibt eine Architektur-Koje mit Modellen und interaktiven Recherchestationen, Videoarbeiten und eine Rauminstallation aus bemalten Kartons und quietschbunten Plastikdingen, feministische Kunst, Body Art, Konzept Art, Collagen, Konzepte, Plakate an der Wand und in Vitrinen. Auch Spielfilmausschnitte kann man anschauen. Alles locker thematisch gruppiert. Auf die Wand applizierte Textbanner informieren kompakt über die jeweilige Kunstform. Wer sich Zeit nimmt, einliest und umschaut, wird neugierig auf die Stadt Breslau/Wrocław, die selbst in Zeiten des Kalten Krieges viel kreativen Freiraum bot. Im Fokus der Ausstellung stehen nicht so sehr einzelne Künstlerpersönlichkeiten, sondern das gesamte kulturelle Leben in der von Nationalsozialismus, Krieg, Vertreibung und Zerstörung schwer gebeutelten Metropole in Schlesien. Ein historischer Crashkurs: Wie sie wurde, was sie war – die Stadt und ihre Kunstszene. Ursprung ist eine wechselvolle Geschichte zwischen Polen und Deutschland: Schlesien war Teil des Dritten Reiches. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurde ein Großteil der in Breslau lebenden Deutschen vertrieben. Die Wehrmacht wollte die Stadt als nationalsozialistische Festung ausbauen – mit verheerenden Folgen: Rund zwei Drittel aller Bauwerke wurden zerstört. Das führte dazu, dass nach dem Krieg auch die verbliebenen Deutschen der Stadt verwiesen wurden. Aus Breslau wurde Wrocław und – die Ausstellung zeigt eine entsprechende Bilderserie – war ziemlich leer, die Bevölkerung auf ein Fünftel geschrumpft, mit Straßen ins Nichts, durch Brachen, wo einst Häuser standen. Die polnischen Behörden siedelten hier Neusiedler aus dem Osten an. Vertriebene aus der heutigen Ukraine, unter ihnen viele Akademiker, Architekten, Musiker, Künstler und Theaterleute, ein buntes Volk mit Ideen. Für sie war die Stadt Spielwiese, ein Raum zur freien Gestaltung und erfrischend weit weg von den kommunistischen Kontroll-Behörden in Warschau. Um etwa 1965 setzt die Ausstellung an mit der Vorstellung zweier Vorreiter der neuen Avantgarde, Jerzy Grotowski, Begründer des Teatr Laboratorium, und Jerzy Ludwiński, der ein Museum für Gegenwartskunst aufziehen wollte. Letzteres zwar erfolglos, aber nicht umsonst. Um beide Kommunikatoren bildete sich eine umtriebige Szene mit viel Gemeinschaftssinn. Man diskutierte, initiierte Film-, Jazz- und Theaterfestivals, Workshops, partizipatorische Aktionen, man filmte und machte Musik, experimentierte und lud international bekannte Künstler wie etwa die feministische Performerin Valie Export ein. Man profitierte und inspirierte sich wechselseitig, wie Arbeiten der polnischen Künstlerin Natalia LL belegen. In Wrocław hat der polnische Konzeptualismus seine Wurzeln, ebenso die konkrete Poesie, zum Beispiel von Stanisław Dróżdż. Neben dem Teatr Labor arbeiteten auch Helmut Kajzar und Kazimierz Braun an neuen dramatischen Formen. Das Architekturmuseum stellte in den 1970ern Arbeiten von heute weltberühmten Architekten wie Renzo Piano, Tadao Ando und Rem Koolhaas aus. Das Wrocławer Filmstudio, die Plakatschule und Musik-Performer prägten die Szene bis in die 1980er Jahre, dem Ende des Kommunismus in Polen. Diese Entwicklung beleuchtet die Ausstellung und präsentiert einen bislang hierzulande wenig bekannten „Mikrokosmos“ Breslau/Wrocław, in dem künstlerische Arbeit politisch war und man für die Gemeinschaft und nicht für Galerien und den Kunstmarkt produzierte. Die erfrischende Aufbruchsstimmung kann die Ausstellung gut transportieren. Es besteht Ansteckungsgefahr. Claudia Heinrich ❚ WILDER WESTEN. Die Geschichte der Avantgarde Wrocław/Breslau Kunstmuseum Bochum, Kortumstr. 147; Dauer: bis 8.5., Di-So 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr; www.kunstmuseumbochum.de FIDENA 4. – 12. MAI 2016 FIGURENTHEATER DER NATIONEN IN BOCHUM, ESSEN, HATTINGEN, HERNE www.fidena.de IST offen versoffen und schlimmer geht immer Fidena die Gute Fidena heißt Ute und schweigt geigt motzt protzt

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