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HEINZ Magazin Essen 02-2016

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HEINZ Magazin Februar 2016, Ausgabe für Essen

BÜHNE TIPP DES MONATS

BÜHNE TIPP DES MONATS Lulu im Schlachthof Grenzen auslotende Inszenierung Als einfache Unterhaltung kann die Geschichte der Titelheldin Lulu schon in der Urfassung von Frank Wedekind, 1894, nicht gelten. Aus der „Monstre-Tragödie“ wird mit den Kompositionen der britischen Band The Tiger Lillies eine „Mörderballade“, die die Essenz des Originals filtert und daraus eine Erzählung männlicher Besessenheit kreiert. Starregisseur Stef Lernous weiß diese am Theater Oberhausen eindrucksvoll in Szene zu setzen. E igentlich sah er sich zeitlich außerstande, eine Produktion für das Oberhausener Theater in der aktuellen Spielzeit zu übernehmen. Als er jedoch vom geplanten Stück hörte, sagte der bekennende Tiger Lillies-Fan sofort zu. „Ich liebe ihre Musik, weil sie so offensichtlich theatralisch ist. Sie hat genau diese düstere fleischliche Qualität, die ich so mag“, gibt Stef Lernous zu Protokoll. Der Schwerpunkt seiner Oberhausener Inszenierung liegt auf einer ungewöhnlichen Ästhetik. Es sind verstörende Bilderwelten, einer Horrorfilm-Atmosphäre gleich. So lässt er „die Mörderballade“ auf einem heruntergekommenen ehemaligen Schlachthof stattfinden, der als Hintergrundkulisse und morbide Ruhestätte der ehemaligen Liebhaber fungiert (Bühne und Light Design: Sven Van Kuij). „Burn in Hell“ ist auf den diesigen Scheiben zu lesen – und schon bald zieren die Köpfe der verstorbenen Männer die Fensterbänke. Dunkel und doch seltsam schrill, beinahe entmenschlicht, muten ferner die Akteure mit ihren überwiegend weiß bemalten Gesichtern an. Die schweigsame und gepeinigte Lulu (Laura Angelina Palacios) wirkt, als sei sie eine Hommage an die gruseligen Untoten aus den Filmen „The Ring“ und „The Grudge“. Sie agiert passiv in einer ihr aufgedrückten Opferhaltung und erhebt erst nach ihrem eigenen Ableben die Stimme, nur um lautstark ihre naiv abhängige Liebe zu ihrem „Daddy“ hinauszurufen. Bis es soweit ist, erklingen von ihr lediglich Wortfetzen. Und die einzig selbstbestimmte Handlung besteht darin, sich immer wieder Zigaretten anzuzünden, während ein Mann nach dem anderen an ihr bzw. seinen Ansprüchen an sie scheitert. 60 | HEINZ | 02.2016

« Torsten Bauer, Michael Witte, Anja Schweitzer, Laura Angelina Palacios (alle Fotos: Birgit Hupfeld) Bereits bei Wedekind besitzt „Lulu“ alles an menschlichen Abgründen, was es für ein Skandalwerk braucht. Für das Publikum der wilhelminischen Zeit kommen die Darstellung sexueller Begierde, Abhängigkeit und Prostitution deutlich zu unverhohlen daher. Dass die Story noch immer eine entlarvende, schockierende Wirkung haben kann, zeigt die deutsche Erstaufführung der Tiger Lillies-Interpretation in Koproduktion mit Stef Lernous legendärem Theater Abattoir Fermé (geschlossener Schlachthof). In dieser Bearbeitung liegt der Schwerpunkt auf der Perspektive jener Männer, die mit Lulu in Berührung kommen. Homoerotische Momente, wie sie im Original mit der Rolle der Gräfin Geschwitz stattfinden, bleiben aus. Aus dem Zeitungsredakteur Schöning, der die minderjährige Lulu von der Straße holt, wird nun „Daddy“ Shig (Susanne Burkhard), der die Tochter einer Prostituierten aufnimmt und sie letztlich dem gleichen Schicksal wie ihre Mutter weiht. Dabei lernt Lulu von Anfang an, dass der Grund ihrer Existenz einzig darin besteht, Projektionsfläche für die Lüsternheit und Wünsche der Männer zu sein. Entsprechend abgestumpft bietet sie ihren Körper dar und ergötzt sich beinahe spielerisch, herablassend an den lüsternen Herren, die geifernd um ihre Aufmerksamkeit buhlen, um sie benutzen zu können. Einen nach dem anderen ereilt dabei letztlich der Tod. Erst Jack The Ripper persönlich ist es, der Lulus Dasein ein blutiges Ende bereitet. Das Geschehen wird durch fast dauerhaft zur Schau gestellte weibliche Nacktheit, sich zum Teil ebenfalls entblößende männliche Schauspieler sowie eindeutige (sexuelle) Gesten betont. Zwischendurch sind Gejohle, Schreie und auch animalische Geräusche, u.a. in Form von Hundegebell, zu vernehmen. Anstelle von gesprochenen Passagen lebt das Stück von der Kunstmusik der Tiger Lillies, die der für das Werk nach Oberhausen zurückgekehrte musikalische Leiter Otto Beatus in englischer Sprache (mit deutschen Untertiteln) belassen hat. Ohne innezuhalten, treiben die an Jazz, Folk und auch Klezmer erinnernden Stücke die Erzählung erbarmungslos voran, sodass es rasant von einem Tod zum nächsten geht. Lulus Geschichte ist weder glücklich noch angenehm. Sie wird von all ihren Liebhabern missbraucht, was ihr „Daddy“ Shig ermunternd unterstützt, sagen die Tiger Lillies. Lernous’ Umsetzung schließt sich dem an – nichts für schwache Gemüter. Die expliziten Songtexte der Theaterband werden auf der Bühne nicht nur visuell begleitet, sondern akzentuieren diese teilweise bis ins Unerträgliche. Immer wieder drängt sich dabei die Frage auf, wie viel Eindeutigkeit es angesichts der schonungslosen Texte noch braucht, wenn zum Beispiel ein lautstarkes „Show us your tits“ seitens der Männer ertönt oder deren tumbe Triebe („Your lust begins, your stupidity wins“) konterkariert werden. Am Ende gibt es für die musikalische Darbietung, insbesondere die Musiker, teilweise Standing Ovations, während der ein oder andere Zuschauer sicher froh über das Ende der makabren knapp 90-minütigen Tortur ist. Für all diejenigen, die sich jedoch nicht davor scheuen, einer Grenzen auslotenden Inszenierung jenes zeitlos schwierigen Stoffes beizuwohnen, ist das Stück ein Zugewinn. SiA ❚ LULU. EINE MÖRDERBALLADE Theater Oberhausen, Will-Quadflieg-Platz 1, Tel. (0208) 8578184; Termine: 5.+13.2., 19.30 Uhr; Preise: 11-22,50 €

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